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3,6 Millionen syrische Geflüchtete hat die Türkei bisher aufgenommen.

© AFP/Ozan Kose

Ungebetene Gäste in der Türkei: Die Opposition setzt Erdogan mit der Flüchtlingsfrage unter Druck

Im türkischen Wahlkampf geraten Migranten in den Fokus. Die Opposition agitiert gegen Syrer, der Präsident will sie gleich nach Hause schicken.

Die Bilder zeigen Geflüchtete auf dem Weg in die Türkei. Ein Türke beklagt, er fühlte sich in seinem Land wie Bürger zweiter Klasse. Dazwischen sind immer wieder Sequenzen geschnitten, in denen Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Flüchtlinge willkommen heißt.

In dem Wahlkampfvideo mit dem Titel „Ungebetene Gäste“ macht die oppositionelle IYI-Partei Stimmung gegen Migranten – und gegen den Präsidenten. Der Film schneidet Äußerungen Erdoğans zum Flüchtlingsthema zusammen und beschwört „eine löchrige Grenze“ und eine „ständig wachsende Gefahr“ durch angeblich gewalttätige Ausländer.

Die rechtskonservative IYI-Partei der früheren Innenministerin Meral Aksener gehört zu einem Bündnis aus sechs Oppositionsparteien, das bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Mai die 20-jährige Herrschaft von Erdoğan und seiner Partei AKP beenden will.

Flüchtlingsthema als Druckmittel

Bisher standen im Wahlkampf das Versagen der Regierung nach der Erdbebenkatastrophe von Februar und die schlechte Wirtschaftslage mit hoher Inflation und Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt. Jetzt, einen Monat vor den Wahlen, will die Opposition, die in den meisten Umfragen in Führung liegt, den Präsidenten mit dem Flüchtlingsthema unter Druck setzen.

Die Türkei hat 3,6 Millionen Syrer und hunderttausende weitere Migranten aus Afghanistan und anderen Ländern aufgenommen, mehr als jedes andere Land in der Welt. Kemal Kılıçdaroğlu, Erdogans Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl, hatte den wachsenden Unmut der Türken über die vielen Ausländer schon früh als Thema entdeckt.

90
Prozent der Türken möchte, dass die Syrer ihr Land verlassen.

Schon 2021 kündigte er an, er werde innerhalb von zwei Jahren nach einer Regierungsübernahme die Syrer aus der Türkei nach Hause schicken. Damit traf er einen Nerv. Nach Umfragen wollen mehr als 90 Prozent der Türken, dass die Syrer ihr Land verlassen.

Nach anfänglichem Zögern sprang Erdogan auf den Zug auf. Er griff Kılıçdaroğlus Forderung auf, in Gesprächen mit der Führung in Damaskus eine Rückkehr der Syrer vorzubereiten. Der Präsident, der jahrelang jeden Kontakt mit der Regierung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ablehnte, bemüht sich jetzt um ein Treffen mit Assad. Der syrische Staatschef weist den Vorschlag zurück, weil er Erdoğan nicht im Wahlkampf helfen will.

„Türkei zuerst“

Erdoğans Schwenk ließ einen Konsens in der Flüchtlingsfrage zwischen den großen Parteien der Türkei entstehen: Vor der Mai-Wahl werben deshalb sowohl Regierung als auch Opposition mit dem Versprechen, die syrischen Flüchtlinge heimzuschicken. Das Wahlprogramm von Erdoğans AKP kündigt eine „freiwillige, sichere und würdige“ Heimkehr der Syrer an. Seit 2016 seien bereits mehr als 500.000 Syrer aus der Türkei nach Syrien zurückgereist.

Die Opposition wirft Erdoğan vor, mit seiner „Politik der offenen Tür“ zu viele Syrer ins Land gelassen zu haben, und facht Überfremdungsängste an. Das Video der IYI-Partei zeigt einen Ausschnitt aus einem Fernsehauftritt von Innenminister Süleyman Soylu aus dem vergangenen Jahr, in dem Soylu erklärte, rund 200.000 Syrer seien bereits eingebürgert worden.

200.000
Syrer sind bereits in der Türkei eingebürgert worden.

AKP wie Opposition wollen die türkischen Grenzen besser sichern, um neue Zuwanderungswellen zu verhindern. Die Oppositionsallianz kündigt darüber hinaus an, sie werde nach einer Regierungsübernahme den Flüchtlingspakt mit der EU aus dem Jahr 2016 „überprüfen“.

Die neue Regierung werde es nicht zulassen, dass die Türkei in der Flüchtlingspolitik als „Pufferstaat“ missbraucht werde, heißt es im Wahlprogramm der Allianz. Die pro-kurdische Grünen-Links-Partei, die nicht zum Sechser-Bündnis gehört, aber Kılıçdaroğlu unterstützt, wendet sich in ihrem Wahlprogramm dagegen, Menschenrechtsfragen wie das Flüchtlingsthema in den Beziehungen zur EU zur Verhandlungsmasse zu machen.

Bei einem Machtwechsel in Ankara im Mai müsste sich Europa deshalb auf eine härtere Haltung der Türkei in dieser Frage einstellen. Präsidentschaftskandidat Kılıçdaroğlu sagte in einem Interview mit Euronews, er werde beim Flüchtlingspakt dem Motto „Türkei zuerst“ folgen.

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