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Das russische Kaliningrad hieß früher Königsberg und war unter anderem der Geburtsort des Philosophen Immanuel Kant. Polen hat jetzt Anlass dazu gegeben, diesen Namen wieder auszugraben.

© dpa/Vitaly Nevar

Politische Städtenamen: Sagt Kyjiw, nicht Kiew!

Polen will Kaliningrad nicht mehr so nennen. Russland sieht darin Russophobie. Statt sich von der Debatte wegzuducken, könnten wir Deutschen nun Nägel mit Köpfen machen.

Ein Kommentar von Alexander Kloß

Seit fast 450 Tagen reißt der russische Angriffskrieg in der Ukraine immer neue Gräben auf. Zum einen an der Front, wo die Kämpfe um den Osten und Süden des Landes erbittert weitergehen. Zum anderen aber fern abseits der reellen Frontlinien, im globalen Informationsraum. Jüngst standen sich dort Polen und Russland gegenüber.

Rund 230 Kilometer Grenze teilen sich die beiden Staaten entlang der russischen Exklave Kaliningrad. Die war bis 1945 unter dem Namen Königsberg Teil Ostpreußens und stand davor lange unter polnischer Herrschaft.

Polens Regierung hat sich am Mittwoch dazu entschieden, das Gebiet von nun an wieder mit der polnischen Variante des Namens Königsberg – Królewiec – zu bezeichnen.

Bewusste Provokation

Grund dafür ist der namensgebende sowjetische Politiker Michail Kalinin, der mitverantwortlich für das Massaker von Katyn war, bei dem im Jahr 1940 mehr als 4000 polnische Offiziere und Beamte vom sowjetischen Militär ermordet wurden. Nach einem solchen Verbrecher wolle man keine Stadt und Region mehr benennen, sagte der polnische Entwicklungsminister Waldemar Buda.

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew zeigte sich so verärgert darüber, dass er die Nutzung der alten deutschen Namen für polnische Städte forderte.

Falls diese Forderung an Deutschland gerichtet sein sollte, würde sie reichlich Anlass zur Ironie bieten. Denn hierzulande sind in vielen Fällen ohnehin beide Varianten geläufig und akzeptiert.

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Aber Russlands Entrüstung wirft ein wichtiges Thema auf: geografische Bezeichnungen sind ein Politikum. Denn sie verstärken die Narrative derer, deren Sprache sich durchsetzt.

Paradebeispiele sind die alten Kolonialnamen, die Großbritannien in Indien nutzte, und die erst in den letzten Jahrzehnten nach und nach offiziell durch lokale Bezeichnungen ersetzt wurden.

Mumbai statt Bombay, Bengaluru statt Bangalore, Chennai statt Madras. Südafrika nahm sich ein Beispiel daran und zog nach. Eswatini, ehemals Swasiland, änderte sogar seinen offiziellen Staatsnamen.

Es ist das gute Recht dieser Städte und Länder, entgegen dem Willen der ehemaligen Kolonialisten selbst über ihre Namen zu bestimmen. Das gilt zwar prinzipiell auch für Russland. Kein Staat ist aber dazu verpflichtet, eine Bezeichnung zu übernehmen, die das eigene Land bewusst herabwürdigt.

Solche Entscheidungen darf man auch noch nach 78 Jahren treffen. Gerade dann, wenn man damit bewusst ein Zeichen setzt.

Nomen est omen

Die Królewiec-Debatte und Russlands überzogenes verbales Aufbegehren bieten einen Anlass, um auch in Deutschland das Thema neu zu entfachen. Denn seit dem Krieg gibt es immer stärkere Rufe danach, ukrainische Städte im Deutschen auch in ukrainischer statt in russischer Schreibweise wiederzugeben. Dies geschieht bislang jedoch nur vereinzelt.

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Natürlich sind diese Umstellungen unpraktisch, für die Leserschaft als auch den Autor. Wert sind sie es allemal.

Denn solche Umbenennungsaktionen beenden freilich den Krieg nicht. Aber sie zeigen, auf welcher Seite wir in dieser Debatte stehen – und dass es uns nicht egal ist, wessen Narrativ wir bedienen. Echte Neutralität gibt es hier ohnehin nicht.

Dahinter steckt also ein Plädoyer: Wenn ihr die Ukraine unterstützt, schreibt Kyjiw statt Kiew! Nennt die Schwarzmeer-Metropole Odesa – mit einem S und nicht zwei.

Sprecht von Lwiw, oder gern auch von Lemberg, wenn es um die heutige Stadt in der Westukraine geht. Und wer zu Polen hält, der soll sich auch den Namen Königsberg nicht nehmen lassen.

Im englischsprachigen Raum hat sich der Schwenk von „Kiev“ zu „Kyiv“ schon während der pro-europäischen Euromaidan-Proteste 2013 etabliert. Es geht also, man muss nur wollen – und dabei gar nicht einmal viel an der Aussprache ändern.

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