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Andreas Rödder

© Gestaltung: TSP, Guido Werner / Gestaltung: TSP, Guido Werner

Exklusiv

Die Chance des 15. Oktober: Deutschland sollte ein Zeichen des Neuanfangs mit Polen setzen

Ein Regierungswechsel in Warschau bietet Deutschland die Chance, Entgegenkommen und Großzügigkeit signalisieren. Nun lässt sich vielleicht eine breite, handlungsfähige europäische Basis formieren

Eine Kolumne von Andreas Rödder

Im Schatten des 7. Oktober in Israel ist der 15. Oktober 2023 in Polen einigermaßen verblasst. So nachvollziehbar dies angesichts der historischen Dimension des israelischen „11. September“ ist, so wichtig kann der Sieg der Bürgerkoalition und ihrer Allianzpartner in den polnischen Parlamentswahlen für Deutschland und Europa sein.

Er bietet die Chance, ein Zeichen für einen Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen zu setzen und dabei Entgegenkommen und Großzügigkeit signalisieren.

Donald Tusk hat gute Chancen, neuer polnischer Regierungschef zu werden.

© REUTERS/Kacper Pempel

Eine solche Initiative bewiese Sinn für die historische Dimension. Es war Deutschland, das Polen 1939 mit einem Vernichtungskrieg überzog und über 40 Jahre kommunistischer Herrschaft erst möglich machte.

Diese war zugleich der Grund, warum während des Ost-West-Konflikts von bundesdeutscher Seite eine vergleichbare Aussöhnung wie mit Frankreich ausblieb. Nach 1989 gab es zwar Ansätze, aber immer auch Irritationen, die dann von der PiS-Regierung auf die Spitze getrieben wurden.

Einen Neuanfang im Verhältnis zu Polen zu suchen, [...] wäre ein Akt der europäischen Führung Deutschlands. 

Andreas Rödder

Eine Initiative für einen Neuanfang wäre zugleich ein Signal der Wertschätzung für das, was unser östlicher Nachbar nach 1989 geleistet hat.

Alle postkommunistischen Staaten gingen mit enormen Startnachteilen in den globalen Wettbewerb nach dem Ende des Kalten Krieges, die auch die Mitgliedschaft in Nato und EU nicht ausgleichen konnten. Stattdessen mussten sie ein Maß an Transformation erbringen, das in Deutschland nur die Ostdeutschen nachvollziehen können – und sich ohne westdeutsche Unterstützung vorstellen müssen.

Eine solche Initiative wäre zudem ein Zeichen der Solidarität mit dem Osten der EU. Denn er ist mit einer Bedrohung konfrontiert, die der Westen Europas, und gerade die Deutschen, in ihrer realitätsvergessen soft-power-Idylle allzu lange ignoriert und als postkommunistische Hysterie abgetan haben.

Die Zeichen der Gegenwart stehen nicht auf selbstgewissen Moralismus, sondern auf handfeste Selbstbehauptung Europas und des Westens gegen gewaltbereite Regime des globalen Ostens.

Einen Neuanfang im Verhältnis zu Polen zu suchen, um eine breite und handlungsfähige europäische Basis zu formieren, statt reflexartig alte westeuropäische Rituale der „deutsch-französischen Achse“ zu zelebrieren, wäre ein Akt der europäischen Führung Deutschlands.

Die hat schon vor zwölf Jahren übrigens niemand anderes gefordert als Radosław Sikorsi, der damalige polnische Außenminister von der Bürgerplattform.

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