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Paul Sies, Jahrgang 1994, ist seit 2019 im Ensemble des Hans Otto Theaters.

© Andreas Klaer

Das Autonomie-Ding: Warum Paul Sies spielt, schreibt und singt

Seit 2019 ist der Schauspieler in Potsdam. Fast ebenso lange singt er auch: eigene Lieder. Begegnung mit einem, der nun offiziell einer der besten Songwriter Brandenburgs ist.

In „Wie es euch gefällt“ ist Paul Sies gleich dreifach zu sehen. Als Adliger mit Pagenschnitt in waldiger Idylle. Als herrischer Herzog mit rosa Löckchen und rosa Wams. Und als Wilhelm. Oder besser: William? Wilhelm ist Liebender, Bauernbursche und, so lässt sich vermuten, ein Cameo-Auftritt des Stückautors, William Shakespeare. „Der Narr hält sich für weise, aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist“, sagt Touchstone (der Narr) zu Wilhelm, bevor er ihm ratzfatz seine Liebe ausschwatzt. Wilhelm fügt sich. Ein Autor, dessen Alter Ego so närrisch ist, muss wohl das Gegenteil sein.

„Weil ich stets das Große will/ und stets das Kleine schaff“

Shakespeares Text ist voller solcher Volten. Paul Sies dürften sie gefallen. Auch Paul Sies ist Autor. Auch er mag Volten. Seit 2019 spielt er nicht nur, er singt auch. Im Hans Otto Theater bisher in kleinen Formaten wie Boxenstopp. Außerhalb auch mal im Sans Titre. Und am heutigen Samstag im Volkspark. Als nun offiziell einer der sieben besten Songwriter der Mark.

Die Texte schreibt Sies selbst. Und die Kompositionen biegen immer dann, wenn man es sich zuhörenderweise gerade mit einem Stil bequem gemacht hat (AnnenMayKantereit! Tocotronic! Rainald Grebe! Ton Steine Scherben! Gundermann?), unverhofft in eine andere Richtung ab. Zwei Alben sind bereits erschienen, ein drittes ist in Arbeit. Erstmals mit großem Orchester. Paul Sies ist ehrgeizig, auch das lernt man in den Songs: „Weil ich stets das Große will/ und stets das Kleine schaff.“

Auf die Frage, warum er sich das Schreiben neben Probenbetrieb und Abendspielplan überhaupt antut, spricht Paul Sies von Sichtbarkeit, vor allem aber von dem „Autonomie-Ding“. Im Theater spielt er Rollen, die andere schreiben, besetzen, inszenieren. Wenn er singt, dann singt er sich. Eigene Worte, eigenes Erleben. Zum Beispiel dies: „Ich spiele Rollen, die ich nicht spielen will / I fell into a burning ring of Scheiße / Theatersoldat Sies meldet sich zum Dienst / Theatersoldat Seis meldet sich zum Verschleiß.“

Der Superheld, den keiner braucht

Das Lied („Theater hassen“) entstand, als er noch in Halle engagiert war, aber es gilt immer noch. „Es war eigentlich sehr liebevoll gemeint“, sagt er. „Man kann ja nur hassen, was man auch liebt. Sonst würde man ja nicht solche Energie darauf verwenden.“ Dass Paul Sies das Theater liebt, teils mit grimmiger Inbrunst, sieht, wer ihn als Mozart in „Amadeus“, als polnischen Widerstandskämpfer in „Die Zeit ist aus den Fugen“ oder in „Wie es euch gefällt“ gesehen hat.

Shakespeare macht Spaß, sagt Paul Sies, aber repräsentativ für das, was er vom Theater will, ist eine andere Potsdamer Inszenierung: Sartres „Schmutzige Hände“. Hier spielte er Hugo, einen Revolutionär und Schreibtischtäter, der unbedingt töten will. Einen Dampfplauderer, der unter Strom steht, nach Anerkennung lechzt, sich immer wieder in Reflexionen darüber verfranst, was hier Spiel ist, und was Wirklichkeit.

Auch er selbst hatte eine existenzialistische Phase, sagt Paul Sies, mit 17 oder 18. Eine Phase, in der er glaubte, die Wahrheit zu kennen. „Etwas peinlich“, sagt er heute. Etwas von dem welterklärerischen Impuls ist ihm aber geblieben. Auch darüber hat er ein Lied geschrieben: „Meta Peter“. Einer, der alle Referenzen erklären kann, von Foucault über Beauvoir bis Marx. Meta Peter, „der Superheld, den keiner braucht“.

Meta Peter tauchte schon auf dem Album 2019 auf, „Die echte Welt“. Aber künftig soll Meta Peter musikalisch kürzertreten, sagt Paul Sies. Weniger Zwischen-den-Genres-Pendeln, weniger Kleinkunst. „Weniger Theater, mehr Musik.“ Auch der Schauspieler Paul Sies wird von Meta Peter manchmal heimgesucht. Die beiden stehen auf Kriegsfuß. „Sich selbst ständig von außen zu beobachten, ist der Tod“, sagt Sies. Das Gefühl, immer schlau sein zu müssen, auch. „Man muss auch mal richtig albern sein können.“ Dem Theatersoldat Sies fällt das nicht immer leicht. Der Sänger Sies ist immer beides zugleich. Sehr albern und auch sehr schlau.

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