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Die Musikerin Dota Kehr eröffnete mit dem Filmorchester Babelsberg die Nikolaisaal-Saison 2023/2024.

© Johannes Kleemeier/Nikolaisaal Potsdam

Genug Sommer fürs ganze Jahr: Dota eröffnet die Saison im Potsdamer Nikolaisaal

Erst etwas befremdlich, dann durch und durch beglückend: Zum Auftakt spielte die Berliner Liedermacherin Songs der letzten Jahre mit orchestralem Großaufgebot aus Babelsberg.

Als die Streicher zum ersten Mal anheben, will einem schon angst und bange werden. Gleich im ersten Song ist das. „Noch gibt’s vieles, was dich hält/ Und aufhalten werd’ ich Dich nicht“, singt Dota Kehr, dann zeigt das Filmorchester Babelsberg, was es kann. Die Streicher legen sich mit viel Schmelz ins Zeug, die Bühne des Nikolaisaals ist bald lila und blau und rot, geflackert wird im Rhythmus. In dem Meer aus Orchestermusiker:innen ist die Band, die Dota mitgebracht hat, kaum zu sehen, und ein paar Minuten lang fürchtet man, dass diese perfekte Balance aus Leichtigkeit und Schwermut, die diese Musik ausmacht, von so viel Wucht erstickt werden könnte. Es wird anders werden.

Größer konnte der Gegensatz zu Dotas erstem Auftritt im Nikolaisaal kaum sein. Im Jahr 2020 war das, damals verarztete Dota in Kleinstbesetzung die coronawunde Seele. Ein Konzert im Nikolaisaal-Foyer, die wenigen Zuschauer:innen saßen auf Abstand, auf der Bühne eine Scheibe aus Plexiglas. Das Publikum war nach dreimonatiger Schließzeit aller Kulturstätten so verzagt, dass es nicht mal wagte, mitzusummen. Am Ende dieses zweiten Auftritts am vergangenen Freitag, der Auftakt für die Saison 2023/24 vor lange ausverkauftem Saal, wird Dota beschwörend die Arme heben und die rund 700 Menschen im Saal werden singen: „Wir rufen dich, Galaktika/ Von deinem fernen Stern Andromeda!“

Die große Geste, die das Filmorchester Babelsberg unter Leitung von Christian Köhler lustvoll zelebriert, ist den Texten von Dota Kehr bereits eingeschrieben. Auch denen der Lyrikerin Mascha Kaléko, deren Gedichte Dota auf ihrem jüngsten Album zum zweiten Mal vertont hat. Liebe, Tod, Vergänglichkeit und die Frage nach der eigenen Verantwortung in all dem: das sind die Themen, um die es geht. Nur: Dotas Geheimnis besteht darin, den großen Wahrheiten nie ganz zu trauen, schon gar nicht ihrer Dauer. Stets tänzelt ihre Musik zwischen großem Ernst und kleinem Gelächter, oder andersrum. Nimmt man diesem Balanceakt die Leichtigkeit, geht der Dota-Zauber verloren. Hier zählt jede Silbe, jeder kunstvoll verschleppte Reim. Hier darf nichts zugekleistert werden.

Das Filmorchester Babelsberg: für Dota der Ritterschlag

Dotas Sprachwitz und musikalische Präzision in eine große Orchesterbesetzung zu übertragen: ein Wagnis also. Das glückt nicht an allen Stellen an diesem Abend. Aber wo es glückt, beginnt er auf betörende Weise zu schweben. Am schönsten passiert das immer da, wo der orchestralen Wucht einzelne Soli entgegentreten und so das dota’sche Dialogprinzip aufnehmen. Oder wo, wie in dem Antiüberwachungssong „Monster“ mithilfe der Blechbläser, dem Grundimpuls der Dota-Musik gehuldigt wird: tanzbar sein.

Saisoneröffnung 2023/2024 Nikolaisaal Potsdam, Konzert mit Dota Kehr und dem Filmorchester Babelsberg 

© Johannes Kleemeier, Nikolaisaal Potsdam/Johannes Kleemeier, Nikolaisaal Potsdam

Auf dem jüngsten Album hat Dota die Lust am Dialogprinzip in viele Duette übersetzt, unter anderem mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow. Der war nicht in Potsdam dabei, dafür ein mindestens ebenbürtiger Ersatz: die Sängerin Malonda. Wo Dotas Stimme glasklar immer ein wenig über allem zu schweben scheint, greift Malonda von unten an. Eine Stimme wie dunkler Samt. „Kein Morgen bringt das Heute uns zurück/ Wir haben keine andre Zeit als diese“ singen die beiden Kalékos Worte einmal. Ein Tanz, der schon ein Wanken ist, ein gewaltiges Fest des Lebens, das Kaléko „noch nicht Sterben“ nennt.

„Für mich ist es so etwas wie ein Ritterschlag, mit euch zu spielen“, sagt Dota Kehr einmal und deutet auf das Filmorchester. Bevor es nach der Pause noch einmal richtig auftrumpft, einige Stücke in kleinster Formation, die musikalisch am meisten an das erinnern, was man bisher von Dota kennt. Konzentrierte Songs nur mit Stimme und Gitarre oder - stiller Höhepunkt in einem sonst eher aufbrausenden Abend - mit Vibrafon und Trompete. „Die Liebe ist ein kleines Tier/ Vielleicht läuft es eines Tages fort“, heißt es in „Bis auf den Grund“ von 2010. „Man fragt im Tierheim ham’ Sie noch so eins/ Und dann ist keins dort.“ Hier haben die Worte, was sonst in diesem Kontext naturgemäß nicht immer gegeben war: Zeit nachzuwirken.

Aber Dota Kehr, die in einem anderen Leben mal unter dem Namen „Kleingeldprinzessin“ ihr Geld als Straßenmusikerin verdiente, kann und will nicht nur nach innen wirken. Mitsingen ist hier ebenso drin wie erwünscht, je mehr, desto besser. Bei „Wir rufen dich, Galaktika!“ läuft sich das Publikum warm, in der Zugabe „Rennrad“ erweisen sich viele im Saal als durch und durch textfest. Die Menschen reißt es von den Sitzen, Dotas Versprechen, wieder nach Potsdam zu kommen, erntet Jubel. Kurz vor Schluss noch Sommerlieder, gleich zwei. Denn Sommer, sagt Dota, braucht man bekanntlich genug für vier Jahreszeiten. Dieser ist fast zu Ende, aber wer am Freitag im Nikolaisaal war, fühlt sich gewappnet für das Kommende. Wie heißt es einmal? „Und ich will nie wieder glauben/ Glück sei irgendwie anders und irgendwie mehr.“

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