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Neue Kooperation. Die Choreografie „Harmonia“ entstand mit der Bremer Kompanie Unusual Symptoms und verknüpft Potsdam mit Templin.

© Joerg Landsberg

Templin, Warschau, Abidjan: Neuland bei den 33. Tanztagen

Das Potsdamer Tanzfestival setzt auf neue lokale Kooperationen, Flüchtlingserfahrungen und Urban Dances. Osteuropa soll künftig wieder eine größere Rolle spielen.

Kein Fest findet ohne Kontext statt, auch kein Festival. Angesichts der Tatsache, dass Potsdams Intendantin Bettina Jahnke vor einer Woche als Folge der Energiekrise auch eine Insolvenz des Stadttheaters nicht ausschloss, stellt sich im Vorfeld der Potsdamer Tanztage, die am 30. Mai an der fabrik beginnen, die Frage: Sehen die Nachbarn auf der Schiffbauergasse ähnlich pessimistisch in die Zukunft?

„Die Situation ist wesentlich anspruchsvoller geworden“, sagt Festivalleiter Sven Till. Bedrohlich ja, existenzgefährdend aber nicht. Sämtliche Bedarfe sind höher, vor allem die Kosten für freie Techniker. Während es andernorts inflationsbedingte Aufwüchse gebe, sei das an der fabrik nicht der Fall. Seit sechs Jahren sei die Förderung für das Festival nicht erhöht worden.

Sven Till, der künstlerische Leiter der Potsdamer Tanztage.

© Andreas Klaer

Till zufolge stehe daher das Szenario im Raum, bei Programm oder Personalkosten sparen zu müssen. „Wir laufen Gefahr, so eingeengt zu werden, dass wir keinen regelmäßigen Spielplan mehr stemmen können.“ Die Ironie dabei: Gerade in den letzten Jahren sei es gelungen, mehr Gastspiele ans Haus zu holen. Die Tanztage, überregional strahlendes Aushängeschild der fabrik, stünden jetzt „weniger als Solitär“ da.

Das liegt nicht zuletzt an Kooperationen, die sich während der Pandemie ergaben. Zwei von ihnen finden sich auch bei den Tanztagen wieder. Zum einen das Stück „Where the boys are“, das im Rahmen des Jugendförderprogramm „Explore Dance“ entwickelt wurde. Zum anderen tritt eine neue Kooperation erstmals in Erscheinung: Die Choreografie „Harmonia“ mit der Kompanie Unusual Symptoms. Neu für Potsdam ist nicht, dass hier Menschen mit Behinderung auf der Bühne stehen. Neu ist das Förderprogramm, dem es entspringt: Tanzland. Eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes, die Gastspiele von Tanzensembles außerhalb der Metropolen fördern will. Im Fall von „Harmonia“ ist das Templin.

Neu ist nicht Afrika im Programm, sondern Osteuropa

Auch mit großen Namen und Internationalität soll gepunktet werden. Zum Auftakt kommt eine der angesagtesten Choreografinnen Europas erstmals nach Potsdam: Mette Ingvartsen, unter Chris Dercon Hauschoreografin an der Berliner Volksbühne. Ihr Stück „21 pornographies“ wollte damals Marquis de Sade mit feministischen Pornos kurzschließen. Bei den Tanztagen soll es um Gemeinschaft gehen: Hier schickt Ingvartsen mit „Moving in Concert“ eine Gruppe Nackter auf die Bühne, ausgestattet mit Neonröhren.

Drei Stücke beschäftigen sich mit dem afrikanischen Kontinent, oder vielmehr einer Kunst, die dort auf besondere Weise zu Hause ist: Urban Dance. Für „Matière(s) première(s)„ eine Deutschlandpremiere, hat die französische Choreografin Anne Nguyen Tänzer:innen mit afrikanischem Hintergrund versammelt.

Für „Filles-Pétroles“ hat die kanadische Choreografin Nadia Beugré mit zwei ivorischen Tänzerinnen gearbeitet: zwei Frauen, die einen traditionell Männern vorbehaltenen Raum für sich beanspruchen. In „Mbeuk Mi Wossi“, eine Europapremiere, zeigt das senegalesische Duo Idolboyz eine hiphopgewordene Message: Nein zu Auswanderung. Von einem „Afrika-Schwerpunkt“ will Sven Till aber nichts wissen - dafür sei auch im Kuratorenteam afrikanische Expertise vonnöten. Später mal.

Neu beim Festival ist hingegen der Blick in eine viel näherliegende Ferne: nach Osteuropa. „Das ist eine Region, die wir über die Jahre etwas aus dem Blick verloren haben“, sagt Sven Till. Der 24. Februar 2022 machte ihm das schmerzlich bewusst. Das soll sich wieder ändern. Der Anfang 2023: Die circensische Performance „Pli“ aus Prag und „Every Minute Motherland“ von Maciej Kuzminski. Aus der Ukraine Geflüchtete berichten hierin von ihrem Weg weg aus dem Kriegsgebiet. Kein Festival ohne Kontext, und die Tanztage tun erst gar nicht so, als sei das möglich.

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