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Der Potsdamer Jurist Ludwig Levy Anfang der 1920er Jahre.

© privat

Leben für das Recht: Die Erinnerung des Juristen Ludwig Levy

Ludwig Levy war ein Potsdamer Rechtsanwalt, der 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft entrechtet wurde. Davon erzählt seine Autobiografie, die jetzt erst öffentlich wurde.

Von Alicia Rust

Ludwig Levy schreibt in seinen Erinnerungen: „Seit dem Erlebnis im Juli 1933 bin ich tot“. Was der gebürtige Potsdamer einst handschriftlich zu Papier brachte, chronologisch gegliedert vom Aufstieg zum angesehenen Anwalt und Stadtverordneten der SPD, bis zur Entrechtung, Enteignung und Vertreibung, war nicht als Lektüre für andere bestimmt. „Mein Schicksal“ steht über dem 185-seitigen, unvollendeten Manuskript. Verfasst wurde es während des Exils in Palästina. Erst viele Jahre nach seinem Tod wurde das Dokument im Nachlass der inzwischen verstorbenen Enkelin Nina Lehmann in Sydney, Australien, gefunden. Dort lebte auch Levy später mit seiner Frau Antonie, bis er 1966 im Alter von 83 Jahren verstarb.

Sterben ist auch als Vernichtung der kulturellen, ethischen oder psychischen Grundlage zu verstehen.

Johannes Leicht, Historiker der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße

In Potsdam wird des Potsdamer Juristen derzeit doppelt gedacht. Seit 24. März zeichnet die Foyerausstellung „Entrechtet“ in der Gedenkstätte Lindenstraße Levys Schicksal nach. Eröffnet wurde sie anlässlich des 90. Jahrestags des 23. März 1933: Damals entmachteten die Abgeordneten des Reichstags mit der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ sich selbst als Parlament und ebneten so den Weg in die NS-Diktatur. Levys handschriftliche Aufzeichnungen dienten zudem als Quelle für das Buch: „Ich lebe für das Recht. Der Potsdamer Jurist Ludwig Levy 1883-1966. Geachtet – Entrechtet – Vertrieben“, das vor Kurzem erschienen ist.

Früher Gerechtigkeitssinn

„Mit dem Sterben ist nicht nur das physische Verenden gemeint“, sagt Historiker Johannes Leicht, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gedenkstätte arbeitet und die biographische Annäherung an die Persönlichkeit Levys gemeinsam mit Sabine Hering herausgegeben hat. „Sterben ist auch als Vernichtung der kulturellen, ethischen oder psychischen Grundlage zu verstehen, auf der ein Mensch existiert“, zitiert Leicht die Worte Levys. Über ein Jahr hat sich der Historiker mit dessen Leben im Auftrag der Gedenkstätte Lindenstraße beschäftigt.

Die autobiografische Annäherung wirft nicht nur einen Blick auf einen jüdischen Bürger der Stadt während der NS-Zeit, gezeichnet wird auch das Bild einer total assimilierten deutsch-jüdischen Familie, die seit drei Generationen in Potsdam lebte. Aufschlussreich sind auch die Kapitel über die Kindheit und Jugend Levys, dessen Gerechtigkeitssinn sich bereits früh zeigte. Etwa, als er sich einmischte, weil ein Mitschüler auf dem Victoria-Gymnasium, dem heutigen Helmholtz-Gymnasium, zu Unrecht bestraft wurde. 

Der Potsdamer Anwalt Ludwig Levy (l.) mit seiner Familie, um 1916.
Der Potsdamer Anwalt Ludwig Levy (l.) mit seiner Familie, um 1916.

© Privatarchiv

Eine Fotografie wie ein Omen

Auch über die familiäre Konstellation erfährt man einiges, etwa über das positive Verhältnis der beiden Söhne zum großzügigen Vater und die eher bedrückte Beziehung zur ständig kränkelnden Mutter. Unterstrichen werden die Schilderungen durch Familienfotos, auch aus Vorkriegstagen. Levy als Kind, als Offizier im ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse 1918, das Eckhaus der Familie in der Brandenburger Straße/Ecke Dortustraße, (früher Waisenstraße 17) oder das Segelschiff „Phönix“ auf dem Templiner See während eines Familienausflugs 1932 mitsamt den beiden Töchtern. Eine Fotografie aus demselben Jahr zeigt die Anhänger der NSDAP, DNVP und SPD vor einem Potsdamer Wahllokal. Ein Plakat mit Hakenkreuz sticht besonders hervor.

Nur ein Jahr später, am 23. März 1933, entmachteten sich die Abgeordneten des Reichstags mit der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ selbst. Die Kaufmannsfamilie Levy zählte anders als die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Potsdams zu den wohlhabenden Bürgern. Dennoch hatte Ludwig sein Vermögen seinem eigenen Fleiß zu verdanken. Nicht zuletzt, weil er über einen großen Zeitraum hinweg kaum mehr als vier Stunden schlief. „Heute würde man sagen, er war ein totaler Workaholic“, sagt Leicht.

Untergang der Demokratie

Ungeachtet dessen begann die systematische Entrechtung der Juden nur wenige Tage nach Antritt der Nationalsozialisten. Von den über 600 Juden, die zum Zeitpunkt der Machtübernahme in Potsdam lebten, haben nur wenige den Krieg überlebt. Levy, der zwischen 1928 und 1933 in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung saß und der während der NS-Zeit seinen Beruf aufgeben musste, wurde zweimal ins Konzentrationslager gesperrt. Nach seiner Entlassung aus Oranienburg und Sachsenhausen wurde er zur Flucht ins Ausland gezwungen.

Finanziert wurde das Buch von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Designerin Mareike Walter hat ein innovatives Konzept entworfen: Der Satzspiegel wurde nach außen gesetzt, um den Druck abzubilden, dem Levy nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ausgesetzt war. Er wurde in die Enge getrieben. Das Layout verdeutlicht die Orientierungslosigkeit Levys nach 1933. Auch die Seitenzahlen finden sich erst auf den zweiten Blick, in der Mitte des Buchs unten links. Das Portrait von Levy ist nur zur Hälfte auf dem Einband zu erkennen, die zweite Hälfte befindet sich auf der Rückseite. Somit schauen Leser gewissermaßen in seinen Kopf hinein.

Im Buch wird vor allem Levys eigene Beschreibung thematisiert, wie stark der Zivilisationsbruch von 1933 gewesen ist. „Über Nacht wurde ein Rechtssystem vollkommen außer Kraft gesetzt und binnen von nur einem halben Jahr zur Diktatur umgebaut“, sagt Leicht. Über diesen Bruch sei Levy nie hinweggekommen. An diesem Beispiel lasse sich gut erkennen, wie fragil die Demokratie ist, mahnt Historiker Johannes Leicht. Derzeit wird von der Stadtverwaltung geprüft, ob nach Ludwig Levy ein bislang unbenannter öffentlicher Platz benannt. Sein Name befindet sich bereits seit einiger Zeit im Straßennamenpool der Stadt. Eine Gedenktafel vor dem Plenarsaal des Potsdamer Rathauses erinnert bereits an ihn.

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