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Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

© IMAGO/TT/IMAGO/Henrik Montgomery/TT

Ukraine-Invasion Tag 502: Gebannt blickt die westliche Welt auf den Nato-Gipfel

Wie internationale Medien den Nato-Gipfel kommentieren, Treffen zwischen Putin und Prigoschin nach Wagner-Aufstand. Der Überblick am Abend.

Für zwei Tage kommen morgen die Bündnismitglieder der Nato im litauischen Vilnius zusammen. Im Zentrum des Gipfels steht der russische Angriffskrieg in der Ukraine – und die Frage, wie Kiew näher an das Militärbündnis herangeführt werden könnte. Aus diesem Anlass haben wir mal einen Blick in die internationale Presse geworfen, wie dort im Vorfeld der Nato-Gipfel eingeschätzt und kommentiert wird.

Die „Washington Post“ schreibt: „Was in Vilnius geschieht, könnte Europa auf den Weg zu dauerhaften Sicherheitsvereinbarungen für ein Jahrzehnt oder länger bringen – oder, wenn das von den USA geführte Bündnis keine ernsthafte Absicht und Stärke zeigt, zu neuen Kriegen führen, indem es dem Kreml zeigt, dass die Nato ein Papiertiger ist.“ Der Zeitpunkt für ein solches Treffen, sei aber ungünstig, denn die meisten der größten westlichen Volkswirtschaften kämpften mit einer drohenden oder tatsächlichen Rezession, die es schwer mache, an Verteidigungsausgaben zu denken.

Der britische „Telegraph“ kommentiert: „Die Balance, die gefunden werden muss, ist die Frage, ob eine ukrainische Mitgliedschaft eine Stärkung des Bündnisses gegen die russische Aggression oder eine Provokation darstellt. Und wenn es ein Zögern gibt, ist das ein Zeichen für eine geschwächte Entschlossenheit und ein stillschweigendes russisches Veto gegen die Mitgliedschaft in der Allianz in der Zukunft?“

Die konservative tschechische Zeitung „Lidove noviny“ schreibt: „Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat gesagt, dass sich alle Mitgliedstaaten einig seien, dass die Ukraine einmal dem Verteidigungsbündnis beitreten werde. Doch ist das wirklich so? Hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban darauf sein Ehrenwort gegeben? Tatsächlich ist zu erwarten, dass in Vilnius keine definitive Entscheidung in dieser Frage fallen wird. Denn auf dem Nato-Gipfel muss die Quadratur des Kreises gelingen: Einerseits will man der Ukraine zumindest irgendwelche Sicherheitsgarantien geben. Und andererseits will man nicht riskieren, dass der Westen in einen direkten Krieg mit Russland hineingezogen wird. Das ist keine triviale Aufgabe.“

Die belgische Zeitung „De Standaard“ meint: „Was aber, wenn der Konflikt zum Stillstand kommt, etwa entlang der Grenzen von 2014? Soll dann mit Blick auf Artikel 5 die Zusage einer Mitgliedschaft und damit die langfristige Sicherheitsgarantie für die Ukraine wieder für lange Zeit auf Eis gelegt werden?“

Und das „Wallstreet Journal“ kommentiert: „Der Gipfel diese Woche wird eine Chance für andere Regierungschefs sein, (Präsident Recep Tayyip) Erdogan daran zu erinnern, dass die Türkei von der Zugehörigkeit zum Bündnis profitiert, was mit der Verpflichtung einhergeht, ein Teamplayer zu sein. Die größere Frage betrifft die Ukraine nach dem Krieg. (...) Die Aussicht, der Nato beizutreten, würde Wolodymyr Selenskyj helfen, den Ukrainern einen ausgehandelten Frieden zu verkaufen und gleichzeitig die Abschreckung gegen Putin und Russlands nächsten Putin zu verstärken.“ 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Offenbar 47.000 russische Soldaten seit Kriegsbeginn gefallen oder schwer verletzt: Für die Studie wurden Todesanzeigen, Sterbestatistiken der Russischen Föderation und des Nachlassregisters ausgewertet. Nicht berücksichtigt sind vermisste oder gefangene Soldaten. Mehr hier. 
  • Die Aufnahme Schwedens in die Militärallianz wird bislang von der Türkei blockiert. Jetzt ist Erdogan zu einem Zugeständnis bereit - knüpft dies jedoch an EU-Beitrittsverhandlungen für sein Land. Mehr hier.
  • Frederiksen fällt offenbar als künftige Nato-Chefin durch: Konservative US-Kongressabgeordnete reagierten einem Bericht zufolge irritiert auf Aussagen der dänischen Premierministerin. Nun rückt demnach ein anderer EU-Regierungschef in den Fokus der Nato. Mehr hier.
  • Der ukrainische Präsident Selenskyj will „nicht zum Spaß“ zum Nato-Gipfel reisen und hofft auf ein eindeutiges Beitrittsversprechen. Doch sowohl Berlin als auch Washington lehnen dies derzeit offenbar ab. Mehr hier.
  • Spekulation um Absetzung von Oberbefehlshaber Gerassimow: Putin soll den Oberbefehlshaber im Ukraine-Krieg de facto ausgetauscht haben. Doch Gerassimows erster Auftritt in der Öffentlichkeit seit dem Wagner-Aufstand lässt Zweifel daran. Mehr hier.
  • Polens Geheimdienst nimmt mutmaßlichen russischen Spion fest: Der Verdächtige ist ein ukrainischer Staatsbürger, der seit 2019 in Polen lebt. Für seine Tätigkeit soll er regelmäßig von den Russen bezahlt worden sein. Mehr hier.
  • Der russische Präsident Wladimir Putin hat wenige Tage nach dem Aufstand der Wagner-Gruppe deren Chef Jewgeni Prigoschin getroffen. Am 29. Juni – fünf Tage nach dem Ende der Rebellion – habe es ein dreistündiges Treffen gegeben, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. „In der Tat hatte der Präsident ein solches Treffen, er hat dazu 35 Leute eingeladen - alle Kommandeure von Einheiten und die Führung des Unternehmens, darunter Prigoschin selbst“, sagte Peskow. Mehr in unserem Liveblog. 
  • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will nach eigenen Angaben mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin über die Verlängerung des ukrainischen Getreideabkommens sprechen. Dabei geht es um die Ausfuhr ukrainischen Getreides über die Schwarzmeerhäfen über den 17. Juli hinaus. Er erwarte auch einen Besuch Putins im August, sagte Erdogan vor seiner Abreise zum Nato-Gipfel.
  • Deutschland will der Ukraine beim Nato-Gipfel weitere Waffenlieferungen in größerem Umfang zusagen. Es werde dort „sehr substanzielle“ Ankündigungen geben, hieß es am Montag aus deutschen Regierungskreisen in Berlin. Weitere Details wurden nicht genannt. Die Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern, deren Lieferung die Ukraine bereits im Mai beantragt hatte, sollen aber weiterhin nicht geliefert werden.
  • Die ukrainischen Streitkräfte haben eigenen Angaben zufolge am Sonntag in mindestens drei Frontabschnitten Angriffe durchgeführt. Der Befehlshaber der ukrainischen Bodentruppen, Generaloberst Oleksandr Syrskyi, erklärte, dass die ukrainischen Streitkräfte weiterhin erfolgreich in Richtung Bachmut vorrückten. Die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar verkündete Gebietsgewinne an der Südflanke der weiterhin umkämpften Stadt. „Wir sind dabei, unsere Gewinne in diesen Gebieten zu konsolidieren“, schrieb sie. 
  • Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags sehen derzeit keine rechtlichen Anhaltspunkte dafür, dass Deutschland oder andere Nato-Staaten über ihre Waffenlieferungen am Ukraine-Krieg beteiligt sind - so wie Russland es ihnen vorwirft. „Noch finden sich in der Völkerrechtslehre keine expliziten Rechtsauffassungen, welche die Unterstützung der Nato-Staaten zugunsten der Ukraine pauschal als eine Form der Konfliktbeteiligung bewerten“, heißt es in einem aktuellen Gutachten, das von der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen in Auftrag gegeben wurde und der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. 
  • Eine große Mehrheit Deutschen ist dafür, dass die Bundesregierung jedes Jahr mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgibt. Auf dieses Ziel haben sich die Nato-Staaten jeweils verpflichtet. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sagen nur 18 Prozent der Befragten, dass zwei Prozent ihnen zu viel sei. 45 Prozent halten die von der Bundesregierung angestrebte Marke dagegen für genau richtig. 21 Prozent wünschen sich sogar noch höhere Verteidigungsausgaben.

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