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Joachim Meyerhoff und Festivalleiter Denis Scheck im Park der Villa Jacobs beim Literaturfestival Lit:Potsdam.

© Andreas Klaer PNN

Meyerhoff liest Meyerhoff: Neue Texte des Schauspielers bei Lit:Potsdam

Bei der Festveranstaltung im Park der Villa Jacobs gab Schauspieler Joachim Meyerhoff Einblick in sein nächstes Buch. Es soll ums Theater gehen.

Wann herrschte bei Lit:Potsdam zuletzt solche Partystimmung? Für den Folgetag war ein Disco-Update ukrainischer Dichter:innen der 20er Jahre von Serhij Zhadan und Yuriy Gurzhy im Waschhaus angesagt, da war sicher noch mehr Rhythmus, mehr Politik zu erwarten. Aber die Festveranstaltungen im Park der Villa Jacobs stehen generell eher für gediegene Stimmung, vor Ort angebaute Weine, politische Reden und gute Aussicht. Nicht so am vergangenen Freitag: Da wurde die versammelte Menge von Lachwellen durchzuckt, die eine oder andere Lachträne hinter Gleitsichtbrillengläsern weggewischt und am Ende herrschte Jubel wie nach einem Popkonzert. Es war der Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff zu Gast.

Der Garten der Villa Jacobs war gut besucht.
Der Garten der Villa Jacobs war gut besucht.

© Andreas Klaer

Meyerhoff ist in Theaterkreisen Kult, seitdem er 2007/2008 seine Familiengeschichte in Solo-Abenden auf die Bühne des Wiener Burgtheaters hob, dort Leben und Tod, Galgenhumor und das, was Meyerhoff „Trauerfestlichkeit“ nennt, aufs Unterhaltsamste verquickte. Dafür wurde er zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen, und daraus entstanden später vier Bücher. Ein fünftes kam 2020 hinzu, in dem Meyerhoff seinen eigenen Schlaganfall mit grimmiger, lebensbejahender Komik verarbeitet. Band zwei, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ lief vor einigen Monaten in den Kinos.

Je mehr man seine eigenen Sachen liest, desto mehr beginnt man sie zu hassen.

Joachim Meyerhoff, Schauspieler und Autor

Der in Wien längst Tatsache gewordenen „Gefahr, zum Publikumsliebling“ zu werden, entfloh er 2019 nach Berlin, wo er seitdem im Ensemble der Schaubühne ist. In Tschechows „Möwe“ spielt er dort Trigorin, einen Erfolgsautor, der sein eigenes Schreiben nicht ausstehen kann. Ihm selbst gehe das ähnlich, sagt Meyerhoff: „Je mehr man seine eigenen Sachen liest, desto mehr beginnt man sie zu hassen.“ Warum also schreiben, fragt Moderator Denis Scheck da. Meyerhoff: „Die Autonomie beim Schreiben ist berauschend“. Das genaue Gegenteil vom Schauspielerdasein, dieser „selbstverschuldeten Unmündigkeit, in der sie mit Freude stecken.“

Prototypisches Berlin-Erlebnis

Die Theaterabende und Bücher haben den bemerkenswerten Übertitel „Alle Toten fliegen hoch.“ Die Idee war es Meyerhoff zufolge, „das Erschütternde mit dem Surrealen zu verbinden“. In Potsdam überwog das Surreale. Das Schmankerl, mit dem Festivalleiter Denis Scheck vor dem euphorisierten Publikum aufwarten konnte: Joachim Meyerhoff war gekommen, um neue Texte zu lesen. Ein Buch soll daraus werden, eins, „das viel mit dem Theater zu tun hat“. Die Auszüge, die Meyerhoff in Potsdam las, erzählten nicht nur von der Unmündigkeit in der Schauspielerei, sondern auch von der Lächerlichkeit, die überall im Leben lauert, und die umso größer ist, desto mehr dabei zuschauen. Vielleicht deshalb funktionieren Theateranekdoten so gut.

Am meisten aber geht es bei Meyerhoff natürlich um Meyerhoff. Zum Beispiel wie nach seiner Ankunft in Berlin auf dem nächtlichen Nachhauseweg ein Mann „von kompakter Dumpfheit“ sein Fahrrad demoliert, das nachmals fahruntüchtig am Laternenmast endet, „als Mahnmal meiner mangelnden Durchsetzungskraft.“ Ein „prototypisches Berlin-Erlebnis“ nennt Meyerhoff das, und nicht erst da beben die Potsdamer Publikumsreihen vor Lachen.

Mal ist Meyerhoff selber der Hauptbeschädigte der Erzählungen, mal sind es Kolleg:innen aus dem Theaterkosmos. Nicht alle werden namentlich genannt: Jener bemitleidenswerte Schauspieler, der sich eine Aufführung lang den Text von der Souffleuse einflüstern lassen muss, bis letztere ihm schließlich das Textbuch durch die Kulisse reicht, bleibt im Gewand der Anonymität. Andere streunen namentlich durch die Texte. Der jüngst verstorbene Peter Simonischek, Schauspielerin Sunnyi Melles, Theaterintendant Claus Peymann oder Regisseur Christoph Schlingensief: Sie alle fliegen hier hoch, tot oder nicht.

Dass dort ein Mann saß, der dem Tod von der Schippe gesprungen ist, dessen Bücher hauptsächlich von Verlusten und Beschädigungen erzählen, war am Freitag kaum zu spüren. Vielleicht war dafür die Erleichterung über den ausbleibenden Regen zu groß, der lokale Wein zu süffig, letztlich auch die Performance des gutgelaunten Autors zu gut. Denn auch wenn das große Plus von Literaturfesten in der Tatsache liegt, mit einem Text nicht allein zu sein: Manchen Dingen begegnet man dann doch nur bei der Lektüre.

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